Ein Versuch in drei Aufzügen
I. Aufzug – OPERATIONSSAAL
Prometheus, der Menschenfreund, liegt auf der Krankenstation. Diagnose: in Abklärung. Jedenfalls keine Leberzirrhose, sagen die Ärzte - anscheinend kam Herakles noch gerade rechtzeitig seines Weges. Der Feuerdieb wird etwas unliebsam in den Operationsaal befördert. Lortz tritt eigenmächtig an den Operationstisch heran.
PROMETHEUS klagend und voller Schuldgefühle zu sich selbst: Was habe ich bloss getan? Gerühmt habe ich mich! Als des Menschen-Schöpfer! Doch welch Leid ist meinem Tun entsprungen! Schreckliche Krankheiten, unendliches Mühsal und Schmerz ward erst durch mich in die Welt geboren. Ich, ich ganz allein habe das goldene Geschlecht zerstört!
LORTZ tröstend: Marx nennt dich den vornehmsten Heiligen und Märtyrer.
PROMETHEUS ironisch und wütend: Heilig, ich? Dann bist du ein blinder Narr!
LORTZ verständnisvoll: Das Entfesselte lässt die Perversionen nur so an die Oberfläche schiessen. Aber bitte vergiss nicht: was deine Schöpfungen damit machen, ist allein ihrer Verantwortung geschuldet.
PROMETHEUS unsicher fragend: Aber ich habe das Feuer gestohlen...
LORTZ erklärend: Durch deine ehrenvolle Tat kam das Feuer nicht nur als kulturschaffendes, sondern eben auch als kriegerisches Element in den Besitz des Menschen. Die fehlbaren Handlungen, ja, der Missbrauch war und ist immer dem freien Willen der jeweiligen Entscheidungsträger entsprungen. Du jedoch, bist von jeglicher Schuld befreit. Du hast dir den Menschen als ein denkendes, gutmütiges und zahmes Wesen gedacht. Wie sollen wir dir dies jemals verübeln?
II. Aufzug – ANSTALT PROMETHIA
Nach einer mehrstündigen, erfolglosen Operation wird Prometheus aufgrund eines nicht auffindbaren physischen Leidens für geisteskrank erklärt und in die nahegelegene psychiatrische Anstalt PROMETHIA versetzt. Seit Lortz die Nachricht vor einer Woche erreichte, hadert er mit sich. Ständig fühlt er sich schuldig. Schuldig für das tragische Schicksal, welches den Heros ereilt hat. Weitere Tage verstreichen, bis sich Lortz dazu entscheidet, ja, beinahe genötigt sieht, dem gescheiterten und scheidenden Helden einen Besuch in der psychiatrischen Einrichtung abzustatten.
LORTZ vorsichtig: Lieber Prometheus...wie geht es dir?
PROMETHEUS erfreut über den unerwarteten Besuch: Grüss dich, mein einziger Freund. Die Zeit hat mich verschluckt, überdrüssig bin ich ihr geworden. Schau, das Schicksal hat mich hier festgeschmiedet, zwischen kalten Eisenstangen, feuchten Fliesen und tagtäglicher Elektroschock-Therapie; keine Asche ohne Feuer, heisst es. Und ein Haufen Asche werde auch ich in Kürze sein, wie schon Tausende zuvor.
LORTZ tröstend und unsicher fragend: Entgegen der Flüchtigkeit des Feuers sind Asche und Russ besonders «gedächtnisfähige» Materialien, ihnen ist die Zeit Untertan. Dürfte ich ein Portrait von dir brennen, wider die Zeit, wider das Vergessen? Als Paradigma der Spur, wie es Derrida formulierte...
PROMETHEUS wütend: Bei Hades und den Erinnyen! Ausgerechnet mit Feuer und Russ willst du mich malen?
LORTZ leidenschaftlich: Feuer ist der Ursprung meiner metaphysischen Bild-Materialsierungen. Ich verfestige, in einem universal-kathartischen Prozess, das Temporäre durch das Flüchtige, brenne Bilder als ein überzeitlicher Schmelztiegel. Deines Feuerdiebstahls versuche ich mich erkenntlich zu zeigen!
PROMETHEUS widerspenstig: Also tu dein Werk, wenn du es nicht lassen kannst. Nur Zeus allein kann mich noch erretten – zum erneuten Male!
III. Aufzug – MYTHOS
Lortz kauert in einer Ecke, in seiner rechten Hand, fest umschlungen, eine Kerze haltend. Einzig die rhythmischen Bewegungen des Kerzenlichts vermögen die alles verschluckende Dunkelheit sporadisch etwas zu erhellen. Seinem Innersten zugewandt, ist er den tanzenden Schatten vollständig ergeben. Die Zellentür wird vorsichtig geöffnet und eine hagere Frau, in einen sterilen Kittel gehüllt, betritt die Szenerie.
FRAU mit leiser Stimme: Monsieur Artaud*, wie geht es Ihnen denn heute?
LORTZ: erschrocken: Mein Name ist nicht Artaud! Wie oft muss ich es Ihnen denn noch sagen. Ich bin Prometheus, der Feuerdieb!
FRAU ernüchtert: Monsieur Artaud, wir versuchen alles um Ihnen zu helfen...Sie müssen sich jedoch auch ein bisschen Bemühen. Bitte kommen Sie mit, es ist Zeit für Ihre Therapie.
LORTZ ausser sich vor Wut: Wie oft denn noch? Wollen oder können Sie es nicht begreifen?!? Ich bin Prometheus! Ich habe Sie mit meinen eigenen Händen erschaffen!
FRAU entnervt: Monsieur Artaud, kommen Sie zu sich!!
LORTZ mit monotoner Stimme: Los! Sort! Los! Sort! Los! Sort! Los! Sort! Los! Sort! Los! Sort! Los! Sort! Los!
FRAU bestimmt: Monsieur Artaud, bitte kommen Sie jetzt mit!
LORTZ ruhig: Ich bin Prometheus. Und Artaud bin ich. Und Johannes der Täufer bin ich. Und Rosa Luxemburg bin ich. Und auch Sie bin ich...
FRAU mit übertriebenem Erstaunen: Sie sind auch ich?
LORTZ zeigt mit dem Finger auf das Bild, welches er gerade gebrannt hat: Schauen Sie in den Spiegel oberhalb der Louis XI Konsole...können Sie es sehen?
Die Frau geht zitternd aus der Zelle.
*Antonin Artaud (1896-1948) war ein französischer Dichter, Zeichner, Schauspieler, Regisseur und Dramatiker. Wegen «Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit» wurde er ab 1937 wieder und wieder als Patient in geschlossenen psychiatrischen Anstalten eingewiesen. Schizophrenie wurde diagnostiziert und es kam zu diversen Behandlungen mit Elektroschocks, Insulin sowie Quecksilber.
(Kevin Muster)